Katharina Hettrich, geboren 1956 im Banat, Rumänien
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Durchs Eiserne Tor in
die Freiheit
Ich wurde im deutschen Dorf
Wetschehausen geboren. Dort lebten etwa 800 – bis 1 000 Einwohner. Die nächst größere Stadt war 14 km
entfernt. Mein Vater arbeitete als Heizer in einer Ziegeleifabrik, meine Mutter
stand als Fabrikarbeiterin am Band. Wir waren nicht auf Rosen gebettet, aber
hatten doch immer unser Auskommen. An meine Kindheit erinnere ich mich gern. Da
wir in einem deutschen Dorf lebten, wurden auch deutsche Traditionen gepflegt.
Wir feierten z.B. Kirchweih in der ersten Woche im Oktober, wobei wir unsere
schönen Trachten trugen. Acht Jahre lang besuchte ich eine
deutsche Schule. Rumänisch und Französisch lernte ich als Fremdsprachen. Aber
erst durch meine Arbeit erlernte ich Rumänisch richtig. Als ich 17 Jahre alt
war, absolvierte ich ein Praktikum bei einer Schneiderin, anschließend arbeitete ich als Näherin
in einer Bekleidungsfabrik, die Bekleidung für die Niederlande
herstellte. Das Material wurde von dort geliefert, wir schnitten es zu und
nähten es, bis die fertigen Produkte von einem LKW aus den Niederlanden wieder
abgeholt wurden. In dieser Fabrik war ich beschäftigt, bis meine Töchter 1980
und 1984 geboren wurden. Nach dem Mutterschutz arbeitete ich weiter bis
Mai 1989.
Leben in einem kommunistischen Land Die Nahrungsmittel waren rationiert.
Mit einem Ausweis musste man belegen, dass man in der Stadt arbeitete, dann
erhielt man Fleisch vom Metzger. Wer im Dorf lebte, war Selbstversorger. Man war deshalb unbedingt auf einen
Garten angewiesen. Einmal in der Woche fuhr ein Auto vor.
Dort konnte man Brot und Weizen kaufen, den man in einer Mühle mahlen ließ, um
mit dem Mehl dann selbst Brot backen zu können. Die kirchlichen Feiertage, wie
Weihnachten und Ostern, konnten oft nicht zur Erholung genutzt werden. Wenn z.
B. eine Lieferung in die Niederlande zu einem bestimmten Zeitpunkt zum
Transport vorgesehen war, musste man arbeiten. Die Maschinen durften nicht
stillstehen. Ganz anders war die Situation am 1. Mai und am 23. August. Diese
Tage wurden mit Aufmärschen, dem Mitführen von Portraits von Ceausescu und
Fahnenschwenken gefeiert. Bei diesen Aufmärschen durfte niemand fehlen. Solange wir in der Schule waren,
waren Brieffreundschaften mit Schulen in der DDR erlaubt. Ich hatte z.B. zwei
Brieffreundinnen und einen Brieffreund. Über diese Kontakte bekam ich sogar ein
Foto und ein Autogramm von der Agentur von Michael Holm, einem Schlagersänger,
der damals die Herzen junger Mädchen höher schlagen ließ. Aber dann kam um 1975
die Zeit, wo man nicht mehr in die DDR oder Ungarn fahren konnte, weil die
Grenzen geschlossen wurden. Nur noch Reisen nach Russland und Bulgarien waren
möglich. Da beschlossen zwei meiner Freundinnen und ich (ich war damals 18),
nachts über die grüne Grenze in den Westen zu flüchten. Unsere Flucht war aber
dilettantisch vorbereitet. Wir fuhren mit dem Zug in die Nähe der Grenze,
stolperten in der Nacht über Wiesen und Stoppeläcker und wurden von Hundegebell
erschreckt. Und so bestiegen wir, als der Morgen graute, frustriert den Zug und
fuhren wieder heim. Das ganze Geschehen war eher ein Abenteuer als ein ernst zu
nehmender Versuch, in die Freiheit zu gelangen.
Flucht nach Deutschland In den Jahren 1988 und 1989 kam es in
Rumänien zu einer großen Fluchtwelle nach Deutschland, der auch wir uns
anschlossen. Mein Großvater mütterlicherseits hatte während des Zweiten
Weltkriegs in Deutschland gekämpft und war nach dem Krieg dort geblieben.
Weitere Verwandten wohnten ebenfalls im Westen – aber wir
bekamen keine Ausreisegenehmigung. Also besorgten wir uns die Telefonnummer
eines Mannes – heute würde man sagen eines Schleppers, der sich gegen Bargeld
bereit erklärte, uns über die Donau zu bringen. Nachts zwischen 12.00 und 1.00
Uhr, ein km vor dem Eisernen Tor, - dabei handelt es sich um ein
Wasserkraftwerk, das von Rumänien und Jugoslawien gemeinsam errichtet worden
war,- stiegen wir in ein Schlauchboot, das uns auf die andere Seite der Donau brachte.
Die Überfahrt war sehr gefährlich. Mein Mann hatte von einem Arbeitskollegen
ein Schlauchboot erhalten, das an verschiedenen Stellen porös war. Um die Luft
am Austreten zu hindern, verstopften wir die Löcher mit Kaugummi. Statt
richtiger Paddel verwendeten wir paddelähnliche Gebilde, die kleiner als
Tennisschläger waren, die mein Mann in seinem Betrieb hergestellt hatte.
Außerdem kann ich nicht schwimmen. Doch der Gedanke, in der Donau zu ertrinken,
ist mir bei der Überfahrt nicht in den Sinn gekommen. So konzentriert und
angespannt war ich in diesem Augenblick. Die jugoslawische Grenzpolizei
entdeckte uns und nahm uns fest und brachte uns in ein Gefängnis, wo wir drei
Wochen bleiben und 8 Stunden am Tag arbeiten mussten. Eine weitere Woche
verbrachten wir dann im deutschen überfüllten Konsulat in Belgrad. Das war ein
Ritual, das alle Flüchtlinge über sich ergehen lassen mussten, die gefangen
genommen worden waren. Wenn die Flüchtlinge beweisen konnten, dass sie
auf-grund eines Rufbriefs in den Westen gelangen wollten, wurden sie nicht nach
Rumänien zurückgeschickt. Die Schwester meines Schwiegervaters, wohnhaft hier
in Heilbronn, hatte in einem solchen Brief an das deutsche Rote Kreuz
geschrieben, dass wir bei ihr willkommen seien. Die deutsche Botschaft in
Belgrad, die von Bonn die Nummer unserer Akte erhalten hatte, ermöglichte es
uns dann, dass wir dann ganz legal, im Zuge der Familienzusammenführung, nach
Österreich und dann nach Deutschland fahren konnten. Die deutsche Botschaft hatte uns Geld
vorgestreckt, weil wir ja nichts besaßen, damit wir uns einkleiden und eine
Fahrkarte nach Deutschland kaufen konnten. Im Juni 1989 kamen wir in Nürnberg
an und wurden dann nach Rastatt weitergeleitet, wo wir zwei Wochen in einem
Auffanglager eine Bleibe fanden. Nürnberg wird mir ewig in Erinnerung
bleiben, nicht wegen seiner Schönheit, sondern wegen eines Missgeschicks. Wir
hatten zwar von der deutschen Botschaft Geld bekommen, besaßen aber keinen
Geldbeutel. Unser erster Gang war deshalb zu einem Lederfachgeschäft, wo mein
Mann für 80 DM einen Geldbeutel erstand, was fast die Hälfte des
Begrüßungs-gelds ausmachte. Erst später erfuhren wir, dass es in anderen
Geschäften weit günstigere Angebote gegeben hätte. Den Geldbeutel besitze ich
heute noch. Kinder waren bei der gefährlichen
Überfahrt über die Donau nie dabei. Sie wurden in Rumänien
zurückgelassen, so auch unsere Töchter, die zunächst bei meinen Eltern in
Rumänien blieben, bis sie am 9. Dezember, wieder mit der Hilfe des Roten
Kreuzes, ausfliegen konnten. Drei Tage später, am 12. Dezember, kam es dann zum
Putsch gegen Ceausescu. Wie froh waren wir, dass unsere Kinder nicht in diese
chaotischen Tage mithineingezogen wurden.
Leben in Deutschland Da mein Mann in Heilbronn
Verwandtschaft hatte, ließen wir uns hier nieder. Zuerst waren wir bis Ende
Dezember im Gasthof Weik untergebracht. Im neuen Jahr bekamen wir dann eine
Drei-Zimmer-Wohnung beim Pferdemetzger Fröschle, wo wir drei Jahre wohnten. Schon im September 1989 hatten wir in
Heilbronn unsere Arbeitsstellen gefunden. Meine erste Arbeitsstelle war bei
Mayer-Kuvert in der Bismarckstraße, bis die Kinder im Dezember nachkamen.
Später hatte ich verschiedene Putzstellen inne, bis ich in der Bäckerei
Seyfert in Böckingen nachmittags eine Putzstelle annahm. Nach drei Monaten
fragte mich Herr Seyfert, ob ich nicht auch vormittags kommen könne, um in der
Backstube zu helfen. So war ich nicht mehr Putzfrau, sondern Bäckereihelferin
und auch manchmal Bedienung. Auch Torten durfte ich backen. Mein Mann fand bei
der Firma Vollert in Weinsberg Arbeit, die er bis zu seinem Tod im Februar 2016
ausübte. Eines Tages machte uns mein Vater auf
ein Zeitungsinserat aufmerksam, in dem ein Hausmeisterehepaar für das
Gemeindezentrum St. Michael in Neckargartach gesucht wurde. Wir bewarben uns und bekamen die
Stelle. So bin ich seit 23 Jahren als Hausmeisterin tätig. Wir hatten keine
Schwierigkeiten, uns in die neue Situation einzufinden. Wir wurden in der
Gemeinde sehr herzlich aufgenommen. Man lebt hier nicht anonym, sondern wie in
einem Dorf, wo jeder jeden kennt. Im Juli 1993 tobte ein schreckliches
Gewitter über Neckargartach. Bäume wurden entwurzelt und abgerissene Äste lagen
auf der Straße und wir kämpften mit Hochwasser im Keller. Da kamen von überall
die Nachbarn herbei und halfen, diese schwierige Situation zu meistern. Ich habe kein Bedürfnis, nach
Rumänien zurückzukehren. Unser dortiges Haus wurde verkauft, und aus dem Dorf
sind fast alle Deutschen ausgewandert. Wir kennen dort niemanden mehr, meine
Heimat ist hier. Nächstes Jahr gehe ich in Rente und ziehe zur Familie meiner
älteren Tochter ins Oberschwäbische. Die Enkelkinder freuen sich schon auf ihre
Oma.
Weitererzählt von Rudolf Holzwarth (2016)
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